Gender Equality und die Rolle von Frauen in Ruanda

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Ruanda – Ein Paradies für Frauen? fragte die Deutsche Welle im März 2019, Matriarchat in Ruanda? das Magazin „Wienerin“ im August desselben Jahres. Ein kleines Land in Ostafrika scheint als Vorbild für Gleichberechtigung und Feminismus die Titelseiten der Welt zu erobern. Was steckt dahinter und wie sehen ruandische Frauen heute ihre Rolle in der Gesellschaft?

Wie fast jede Gesellschaft dieser Erde zeichnete (und zeichnet?) sich auch die ruandische durch zutiefst patriarchalische Strukturen aus: Arbeit und das öffentliche Leben waren männliche Domänen, Erbe und Landbesitz gingen in der Regel an die männlichen Nachfahren, höhere Bildung genossen nur junge Männer, Rollen im Haushalt und der Familie waren klar verteilt und die meisten Frauen waren direkt oder indirekt von ihren Vätern und Ehemännern abhängig. Einen Überblick zur Geschichte der Rolle der Frau in Ruanda gibt es hier.

Ähnlich wie die Weltkriege in Deutschland hatte auch der grausame Genozid an den Tutsi 1994 diverse Effekte auf die (weibliche) ruandische Bevölkerung: er zerriss Hunderttausende von Familie und ließ viele Frauen als Witwen und Kinder ohne Väter zurück, traumatisierte Frauen, nicht zuletzt durch sexualisierte Gewalt und zerstörte die Einkommensgrundlagen vieler Familien. Gleichzeitig löste er aber auch indirekt eine Welle der Emanzipation aus. Denn der Völkermord hatte auch die Demographie der Gesellschaft grundlegend geändert: rund 70 Prozent der Bevölkerung war nun weiblich.

Daphrose Mukanyawarya
Daphrose Mukanyawarya verlor ihm Genozid ihren Mann und all ihre Kinder und schaffte es trotz allem, sich ein neues Leben aufzubauen

Es waren also die Ruanderinnen, die das Land maßgeblich wieder mit aufbauten. „Nach dem Blutbad mit einer Million Toten waren wir Frauen in Ruanda gezwungen, uns ohne unsere Männer durchzuschlagen. Sie mussten ihre Fähigkeit beweisen. Die Frauen in Ruanda waren gezwungen das Land wieder aufzubauen um zu überleben”, erinnert sich Natacha Umutoni, ruandische Unternehmerin, im Gespräch mit der Deutschen Welle. 

Anders als in Deutschland jedoch, wo Frauen in den 1950ern in der BRD größtenteils in ihre Rolle „am Herd“ zurückgedrängt wurden, arbeitete man in Ruanda aktiv auf Gleichberechtigung in allen Sphären des täglichen Lebens hin: Verschiedene Reformen der 1990er Jahre gestanden Frauen nun das Recht ein, Land und Besitz zu erben oder Bankkonten zu eröffnen und Kredite aufzunehmen. Bildung für Mädchen und Frauen sowie ihre Beteiligung vor allem in technischen Berufen wurde aktiv über verschiedene Kampagnen und Förderprogramme gefördert. Ein Meilenstein war auch die neue Verfassung von 2003: Hier wurde Gleichberechtigung als Staatsziel festgeschrieben. Dazu zählt unter anderem, dass jedes entscheidungsgebende Gremium eine Frauenquote von mindestens 30 Prozent haben muss. 

Diese Quote übertrifft das Land seit 2003 jedes Mal um das Doppelte: 2019 lag der Frauenanteil im ruandischen Parlament bei 61,3 Prozent. Damit ist Ruanda deutlich weltweiter Spitzenreiter und schlägt viele Länder, die sich als „entwickelt“ rühmen um Längen. Zum Vergleich: Deutschland liegt momentan bei 30,7 Prozent.

Auch im Kabinett sind die Sitze ausgeglichen: 13 Ministerien werden von Männern geführt, 13 von Frauen.

So zum Beispiel auch das „Ministry of Gender and Family Promotion“ mit dem „Gender Monitoring Office“. Es ist die zentrale Instanz für die Umsetzung der Gleichberechtigungsziele durch die Implementierung von Gendernormen in Gesetzen und innerhalb aller staatlichen Strukturen. So wurden beispielsweise diskriminierende Gesetze abgeschafft, die es Frauen untersagten, Diplomatinnen zu werden oder nachts zu arbeiten und brachten neue Legislation zur Verfolgung von sexualisierter Gewalt, vor allem auch in der Ehe, ein.

Und wie übersetzen sich diese Politiken in den Alltag von ruandischen Frauen?

Dazu lohnt es sich, auf einige Indikatoren zu schauen. Im globalen Gender Gap Report des World Economic Forums belegte Ruanda 2020 mit 79,1 Prozent den 9. Platz – nach nordischen Ländern wie Island, Norwegen und Finnland sowie Nicaragua, Neuseeland, Irland und Spanien und vor Deutschland. Vor zwei Jahren belegte das Land sogar noch Platz 6 und ist das einzige afrikanische Land unter den Top 10.

Der Indikator setzt sich aus verschiedenen Subindizes der Bereiche Bildung, Arbeitsmarkt, Politik und Gesundheit zusammen. Die politische Sphäre haben wir bereits besprochen, wie sieht es in den anderen Bereichen aus?

Arbeit

84,7 Prozent aller Ruanderinnen arbeiten – das ist die höchste weibliche Arbeitsmarktbeteiligung weltweit (in Deutschland arbeiten zum Beispiel nur 74,1 Prozent aller Frauen)! Die meisten Frauen sind weiterhin in der Landwirtschaft tätig (46,1 Prozent), gefolgt von Handel (17,8 Prozent) und Haushaltspersonal (8 Prozent). Genauso wie überall weltweit verdienen Frauen im Durchschnitt weniger, in Ruanda liegt die Gender Pay Gap laut nationalen Quellen bei 34,2 Prozent. Dies führen sie allerdings auf die unterschiedliche Struktur der ausgeübten Jobs zurück – bei gleicher Qualifizierung und Position gäbe es keine Lohnunterschiede. 

Wie sieht es bei der vertikalen Verteilung von Jobs aus? Einige der größten ruandischen Unternehmen wie RwandAir, die ruandische Airline, und die Bank of Kigali werden von Frauen geführt. Insgesamt sind laut Gender Gap Report 19,7 Prozent der Topmanager in Ruanda weiblich – das klingt wenig, ist im internationalen Vergleich trotzdem recht viel (in Deutschland sind es beispielsweise 26 Prozent).

In ruandischen Familien wird übrigens in der Regel gemeinsam auf dem Land gearbeitet und verdientes Geld meist gemeinsam benutzt. Trotzdem ist das Verfügen über ein eigenes, solides Einkommen natürlich grundlegend für Selbstständigkeit von Frauen und verringerte Machtgefälle in Familien. 

Bildung

In Ruanda herrscht Schulpflicht für alle Kinder und an Primar- und weiterführenden Schulen übersteigt die Zahl der Mädchen sogar die der Jungen (95,1 Prozent der Mädchen besuchen die Grundschule). Ungleicher wird die Verteilung erst in der tertiären Bildung, das heißt an Universitäten und Hochschulen: hier machen Frauen „nur noch“ 44,4 Prozent aus. Dies hat natürlich auch Auswirkung auf spätere Karrierechancen und Gehalt. Im afrikanischen Vergleich ist Ruanda damit trotzdem Spitzenreiter.

Gesundheit

Vor allem Gesundheitsministerin Anges Binagwaho setzte sich für Gender Equality im Gesundheitswesen ein und setzte beispielsweise HPV-Impfungen durch. Die Müttersterblichkeit ist über die Jahre sehr zurückgegangen. Frauengesundheit und reproduktive Rechte werden in verschiedenen Formaten an Schulen und in Gemeinden vermittelt, Abtreibungen sind jedoch nur in Ausnahmefällen erlaubt. Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt sind leider noch immer ein präsentes Thema in der Gesellschaft, 34,4 Prozent der Ruanderinnen haben bereits Formen von Gewalt aufgrund ihres Geschlechts (gender-based violence) erfahren.

Gender Equality in der Praxis

In vielen Bereichen ist Ruanda, vor allem im Vergleich mit seinen ostafrikanischen Nachbarstaaten, aber auch auf globaler Ebene, also scheinbar sehr fortschrittlich, was Beteiligung und Rechte von Frauen anbelangt. Statistische Daten und Indikatoren sind eine Sache, doch wie sehen die Geschlechterverhältnisse in der Praxis aus? Was sagen die Ruanderinnen selbst dazu?

Dies ist sicherlich immer subjektive Betrachtungssache und variiert von Familie zu Familie, von Beruf zu Beruf oder zwischen Stadt und Land.

Viele der Produzentinnen hinter Angelique’s Finest betonen jedoch den Fortschritt, der in den letzten Jahren gemacht wurde. Früher seien sie abhängiger und weniger beachtet gewesen, indem sie nun durch ihren eigenen Kaffee namens Angelique’s Finest noch aktiver zum Einkommen der Familie beitragen, sei nun ihr Ansehen gestiegen – sowohl in den Kooperativen, als auch in den Familien.

Wie der Kaffee und ein eigenes Einkommen ihr Unabhängigkeit gebracht hat, erzählt Vestine Muhawanimana, Mitglied von Rambagirakawa, der Frauengruppe der Kooperative Dukundekawa: „Auch ich kann nun zum Haushaltseinkommen beitragen. Wenn man sein eigenes Geld verdient, bedeutet das, dass dein Mann dich respektiert. Denn in einer Familie müssen beide Partner beisteuern.“

„Die Männer in Dukundekawa haben sich in den letzten Jahren verändert und sind viel offener geworden,“ sagen die Bäuerinnen. Maria Mukandemezo berichtet beispielsweise, dass ihr Mann kocht und auf die Kinder aufpasst, während sie arbeitet oder sich für die gemeinschaftlichen Handarbeiten der Frauengruppe trifft. Doch das ist nicht immer der Fall. Häufig tragen Frauen die Doppelbelastung Familie plus Arbeit, da sie im Durchschnitt noch immer häufiger für die sogenannte Care-Arbeit (Haushalts- und Pflegetätigkeiten) zuständig sind. In Ruandas Nachbarland Uganda arbeiten Frauen im Kaffeesektor deshalb im Schnitt rund 7 Stunden am Tag mehr

Auch wenn nicht alle Männer die Idee von Gender Equality unterstützen und verinnerlicht haben, so ist Angelique Karekezi, Geschäftsführerin von RWASHOSCCO überzeugt, dass sie durch Bildungsarbeit, die sie in den Kooperativen, in der ruandischen Regierung und mithilfe von NGOs geleistet haben, Erfolge erzielt haben. „Familien müssen verstehen, dass sie zusammenarbeiten müssen, um sich finanziell besser aufstellen zu können,“ sagt sie.

Es zeichnet sich also ein uneindeutiges Bild ab: Ruanda hat in den letzten Jahren und Jahrzehnten viel erreicht und zahlreiche Rahmenbedingungen, Gesetze, Institutionen und Fördermechanismen etabliert, um mehr Gleichberechtigung zu schaffen, und kann somit ohne Frage ein Vorbild für viele andere Staaten sein. Dieser Top-down Ansatz von oben ist zu Teilen sicherlich ein Prestigeprojekt, manchmal auch Symbolpolitik und sollte deshalb nicht glorifiziert, fortbestehende Missstände nicht vergessen werden. Die Empowerment-Stategie hat jedoch auch auf vielen Ebenen bereits gefruchtet. Emma Rubagumya, Parlamentsabgeordnete und Vorsitzende des Komitees für Politische Angelegenheiten und Gender, ist stolz auf das, was ihr Land geleistet hat. Aber sie gibt auch zu: „Wir sind noch nicht bei 100 Prozent. Wir müssen noch weiter gehen, um sicherzustellen, dass wir irgendwann komplett frei von Ungleichheiten sind.“ Doch dies passiert nicht über Nacht und benötigt langfristige kulturelle und strukturelle Transformationsprozesse.

In diesem Sinne: kämpft weiter und seid solidarisch!

Für noch mehr Hintergrundinformationen einfach weiterlesen:

Die Rolle der Frau in Ruanda: Geschichtliche Entwicklung

Es war insbesondere der Einfluss der Kolonialmächte, der die ursprünglich starke Rolle der Frau kulturell entmachtete. Nach Abzug der Belgier während der ersten ruandischen Republik wurden erste Frauenzentren (foyers sociaux) gegründet, die die weibliche Landbevölkerung bei Alphabetisierung und Gesundheitsfragen unterstützten und weiblichen Angestellten Aufstiegs- und Führungsmöglichkeiten boten.

Während in Ruandas zweiter Republik Frauen weitestgehend von Führungsposition in Ministerien usw. ausgeschlossen wurden, wuchs ihre Stellung in Kooperativen und kirchennahen Gruppen, die dank internationaler Finanzierung und technischer Hilfe für die ländliche Bevölkerung entstanden. Nach der UN Conference on Women 1985 in Nairobi, Kenia, wuchs die Zahl von Frauenvereinigungen rasant an. Unter dem Druck dieser Bewegungen gründete Präsident Habyarimana erstmals ein Ministerium für Frauen, welches sich für die wirtschaftliche Entwicklung und Unterstützung von Frauen und Kindern einsetzte. Mit ihm als Präsident wurde 1993 Agathe Uwilingimana als erste Frau Premierministerin. Als demokratisch orientierte Hutu-Sprecherin war sie eines der ersten Opfer des Genozids.

Frauen als Opfer des Genozids

Ruandas Frauen sind in unterschiedlicher Weise vom Genozid betroffen – einzelne Frauen aufgrund ihres Geschlechts, viele durch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe.

Für alle Frauen Ruandas bedeutete der Genozid Störung oder Zerstörung ihrer Leben, ihrer Familie und ihrer minimalen ökonomischen Sicherheit. Viele von ihnen hinterließ der Genozid traumatisiert oder mit körperlichen und seelischen Verletzungen.

Nach dem Genozid

Die Zeit kurz nach dem Genozid war von Verlust, Angst, Unsicherheit, Wut und manchmal auch dem Wunsch nach Rache geprägt. Soziale Vertrauensverhältnisse wie Nachbarschaft und Freundschaft waren zerstört. Die traumatischen Erlebnisse und das Gefühl niemandem außer der engsten Familie vertrauen zu können, führte zur Isolation vieler Frauen – besonders Witwen.

Die wirtschaftliche Situation, gerade von Familien mit weiblichem Oberhaupt war prekär. Viele Frauen mussten sich der vollständigen Zerstörung ihres Besitzes stellen, ohne einen Platz zu haben, wohin sie und ihre Kinder hätten gehen können. Armut machte es schwer für überlebende Verwandte und Kinder zu sorgen. Trotzdem nahmen viele Frauen zusätzlich Kinder auf, die der Genozid zu Waisen gemacht hatte.

Frauenorganisationen kam in dieser schwierigen Zeit eine wichtige Rolle zu. Sie halfen bei Kleidung, Essen, Obdach und konnten so die Zerstörung der Sozialsysteme im Genozid ein wenig abfedern.

Außerdem reisten Mitglieder der Organisationen in die Flüchtlingscamps in Zaire (heute Demokratische Republik Kongo), Tansania, Burundi und Uganda, um ihre verlorenen Mitglieder zur Rückkehr nach Ruanda zu bewegen, da sie Register über ihre Mitglieder geführt hatten.

In den kommenden Jahren kam diesen Frauen eine bedeutende Rolle beim Wiederaufbau des Landes zu. Frauen machten 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung aus. Viele Männer waren gestorben oder verbüßten ihre Strafen im Gefängnis, sodass Frauen zunehmend Führungsverantwortung übernehmen mussten und konnten. Selbst in ländlichen Gebieten gab es immer mehr Frauen, die sich als Gemeindevertretung für andere Frauen einsetzten. Auch übernahmen Frauen Aufgaben und Berufe, die vor dem Genozid für sie nicht angemessen gewesen waren, so zum Beispiel Dachdeckerarbeiten, Melken, Bauarbeiten am Haus oder eine Anstellung bei der Regierung. Doch diese Verbesserungen in Gender-Fragen bei der Berufswahl mussten teuer erkauft werden. Das fehlende Einkommen der Männer belastet viele Familien schwer und vergrößerte die Arbeitsbelastung der Frauen.

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