von Charlotte Lonitz
Kinder, die unter dem Einsatz ihrer Gesundheit Rohstoffe aus Minen abbauen, Steine hauen, Teppiche knüpfen, auf Feldern schuften, Müll sortieren, anderen als Hausangestellte dienen oder sich prostituieren müssen – immer wieder erreichen uns besorgniserregende Berichte über die wirtschaftliche Ausbeutung von Minderjährigen.
Nach Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) arbeiten tagtäglich rund 152 Millionen Kinder unter nicht altersgemäßen und menschenwürdigen Bedingungen und werden damit ihren elementaren Rechten, Freiheiten und Chancen beraubt. Das entspricht rund jedem zehnten Mädchen oder Jungen unter 18 Jahren, wobei der afrikanische Kontinent der traurige Spitzenreiter unter den Weltregionen ist: Mit 72 Millionen Kinderarbeitern ist hier sogar rund jedes fünfte Kind betroffen. Die Dunkelziffern sind vermutlich noch viel höher. Bedingt durch die sozio-ökonomischen Bedingungen sehen sich viele Eltern gezwungen, auch ihre Kinder als Arbeitskräfte in familieneigenen Betrieben oder Feldern einzusetzen oder sie zum Geldverdienen wegzuschicken. Die zeitlichen und finanziellen Opportunitätskosten, ihnen Schulbildung und Freizeit zu garantieren, sind schlichtweg zu hoch.
Kinderarbeit hat nicht nur vielschichtige Ursachen, sondern auch viele verschiedene Gesichter. Mit 71% macht Arbeit im agrikulturellen Sektor das wichtigste Kinderarbeitsfeld aus. Wie sieht es aber im Kaffeesektor in Ruanda aus?
Kinderarbeit im Kaffeesektor in Ruanda
Unsere Kundenumfrage im Juli 2019 ergab, dass es Ihnen am Wichtigsten ist (93% aller Befragten), keine Kinderarbeitsstrukturen zu unterstützen. Wir als Unternehmen tragen selbstverständlich eine Verantwortung, nicht-ausbeuterische Verhältnisse entlang unserer Produktionskette zu sichern.
Ist Kinderarbeit gleich Kinderarbeit? Child labor vs. Child work
Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen UNICEF definiert Kinderarbeit als „Arbeiten, für die Kinder zu jung sind oder die gefährlich oder ausbeuterisch sind, die körperliche oder seelische Entwicklung schädigen oder die Kinder vom Schulbesuch abhalten“. In verschiedenen Konventionen wie der ILO Konvention n°138 zum „Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung“ (1973), der „Kinderrechtskonvention“ (1989) oder ILO Konvention n°182 zur „Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit“ (1999) haben die Vereinten Nationen und deren angehörige Institutionen versucht, diesen Praktiken einen Riegel vorzuschieben.
Doch nicht jede körperliche Ertüchtigung oder Beteiligung an ökonomischen Aktivitäten ist automatisch Kinderarbeit. Wenn jemand den Eltern im Haushalt hilft oder mit 16 Jahren im Café jobbt, betrachten wir dies ja nicht als etwas Negatives. Ganz im Gegenteil – gewisse Arbeiten können sogar entscheidende Fertigkeiten weiterentwickeln, Erfahrungen für später schaffen, für Eigenständigkeit und ein Verantwortungsgefühl sorgen und so positiv zur Entwicklung des Kindes beitragen.
Wo zieht man also die Grenze zwischen arbeitenden Minderjährigen (child work) und Kinderarbeit (child labor)?
Als wirtschaftlich aktiv wird eine Person bezeichnet, wenn sie auf regelmäßiger Basis Arbeit verrichtet, für die sie entlohnt wird, oder die in Ergebnissen resultiert, die für den Markt bestimmt sind.
Für eine Klassifizierung als ausbeuterische Kinderarbeit sind die folgenden Kriterien entscheidend:
- der/die Arbeiterin darf nicht unter 13 Jahre alt sein,
- die Arbeit darf nicht unter Zwang geschehen, nicht die Gesundheit oder die psychische Verfassung des Kindes gefährden oder es daran hindern, Bildung zu erfahren.
Die Fairtrade-Standards definieren es so:
- Kinder dürfen nicht lange Zeit am Stück, nicht nachts und nur außerhalb der Schulzeit oder in den Ferien arbeiten
- keine schweren oder gefährlichen Tätigkeiten durchführen; das heißt zum Beispiel schwere Lasten tragen, gesundheitsgefährdenden Chemikalien (wie Pestiziden oder Insektiziden) ausgesetzt sein, gefährliche Maschinerie und Werkzeuge betätigen, bei hohen Temperaturen oder in ungesicherten Höhen arbeiten oder giftigen Müll handhaben
- nur unter Aufsicht eines erwachsenen Familienmitglieds oder Erziehungsberechtigten arbeiten und auf der familieneigenen Farm. Eine 12-Jährige kann also ohne Probleme auf ihre Geschwister aufpassen, nach der Schule auf dem Land der Eltern Unkraut jäten oder mit 16 Jahren sich ein wenig Taschengeld am Kiosk um die Ecke verdienen, solange die oben genannten Kriterien eingehalten werden.
FLOCERT, der Zertifizierer von Fairtrade-Produzentinnen, überprüft in regelmäßigen Anhörungen und Besuchen, dass alle beteiligten Akteure entlang der Produktionskette diese Standards einhalten und keine Kinderarbeit dulden.
Kinderarbeit in Ruanda
Ruanda unternimmt seit Jahren verstärkt Anstrengungen, um Kinderarbeit landesweit zu eliminieren. Das Land ratifizierte alle grundlegenden ILO- und UN-Konventionen (was übrigens nur rund ein Viertel aller Mitgliedsländer taten) und verschärfte erst 2018 seine Gesetzgebung, um das Kindeswohl zu gewährleisten. So verabschiedete die Regierung eine Reihe von Erweiterungen der bereits bestehenden Gesetze und Programme, namentlich ein neues Arbeitsgesetz, striktere Anti-Menschenhandel-Regularien sowie höhere Strafen für das Anstellen von Kindern oder deren Missbrauch in bewaffneten Konflikten und illegalen Aktivitäten.
Das nationale Mindest-Arbeitseintrittsalter liegt bei 16 Jahren, für gefährliche Arbeiten bei 18 Jahren. Kinder unter 16 Jahren dürfen unter keinen Umständen mehr als 20 Stunden pro Woche arbeiten, egal ob bezahlt oder unbezahlt. Sechs- bis Zwölfjährige dürfen nicht angestellt werden, auch nicht im Familienbusiness arbeiten; ab 13 Jahren dürfen auch leichte Hilfsarbeiten und einkommensgenerierende Tätigkeiten durchgeführt werden, allerdings nicht in gefährlichen Arbeitsfeldern wie Bau, Bergbau, Fischen, Jagen oder als Haushaltsangestellte.
Laut der Haushalts- und Lebensbedingungen-Umfrage von 2016/2017 war ein Zehntel aller ruandischen Minderjährigen in ökonomische Aktivitäten involviert. Insgesamt 3,6% wurden als Kinderarbeiterinnen gemäß der child labor-Definition klassifiziert. In ländlichen Gebieten fiel dieser Anteil höher aus (6%) als in städtischen und war vor allem im Dienstleistungsbereich (58,3%) zu finden. Rund ein Drittel der ruandischen Kinderarbeiterinnen arbeiten in der Landwirtschaft. Konkret handelt es sich dabei um 21% unbezahlte Hilfskräfte auf den familieneigenen Farmen, 6% bezahlte Feldarbeiter; das Gros arbeitet als bezahlte Angestellte außerhalb der Landwirtschaft (63 % z.B. als Haushaltshilfen).
Im regionalen Vergleich steht Ruanda damit jedoch sehr gut da: all seine Nachbarländer weisen Kinderarbeitsquoten von 30-35% auf. Das liegt neben Sensibilisierungskampagnen und hohen Strafen für das Anstellen von Kindern (derzeit mindestens zwei Jahre Gefängnis) unter anderem an der effektiven Schulpflicht des Landes. Für die ersten neun Schuljahre besteht in Ruanda Schulpflicht und eine Netto-Grundschulbesuchsrate von 87,9% spricht dafür, dass sie auch vergleichsmäßig stringent umgesetzt wird.
Dadurch liegt der Anteil der illegal arbeitenden Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren mit 0,6% deutlich unter der Gruppe von Jugendlichen zwischen 16 und 17 Jahren (12%), unter denen die Schulbesuchsrate sehr viel geringer ist. Über nationale Kampagnen werden Eltern immer wieder dazu aufgerufen, in die Bildung ihrer Kinder zu investieren, und Lehrer wie lokale Autoritäten dazu angehalten, Nicht-Erscheinen zur Schule umgehend zu berichten.
Doch obwohl es geringe Schulgebühren und finanzielle Unterstützung des Staates für arme Familien gibt, stellen indirekte Kosten für Schuluniform, Materialien, Mittagessen oder Transport ohne Frage weiterhin ein Hindernis für den Zugang zu Bildung und die Verhinderung von Kinderarbeit dar.
Kinderarbeit in unseren Partnerkooperativen?
Wie sieht es nun also in unseren Partnerkooperativen aus? Da alle unsere Partner von Fairtrade zertifiziert sind, müssen sie garantieren, dass es in ihren Operationen keine Kinderarbeit gibt. Sie erhalten regelmäßige Prüfungen von FLOCERT, bei denen dieses und andere Sozialkriterien geprüft werden.
„Wir stellen prinzipiell keine Minderjährigen unter 18 Jahren an und versuchen auch unsere Mitglieder in Trainings zum Thema Kinderarbeit zu sensibilisieren“,
erläutert Theophile Biziyaremye, Manager der Kooperative in Maraba.
Auch bei all unseren häufigen, und teilweise mehrwöchigen Besuchen, haben wir nie Kinder auf den Kaffeefarmen arbeiten gesehen – egal ob während der Schulzeit oder danach. Die Bäuerinnen und Bauern, mit denen wir sprechen, beteuern, dass ihnen ihre Sprösslinge nicht oder nur selten bei der Feldarbeit helfen.
„Bildung ist unglaublich wichtig und der Schlüssel zu allem heutzutage. Deshalb schicken wir unsere Kinder zur Schule, ihnen sollen später einmal alle Türen offen stehen.“
erklären Dennis und Thacianna Barayagwiza, Eltern von drei Kindern im Alter von fünf, zehn und zwölf Jahren.
Zusammenfassend kann man also sagen, dass Kinderarbeit durchaus weiterhin als Problem und Folge der wirtschaftlichen Situation einiger Haushalte in Ruanda besteht und das Ausmaß der nicht-erfassten Fälle unbekannt ist. Die administrative Struktur und die sozio-politischen Maßnahmen des Landes haben jedoch dafür gesorgt, dass die Zahl in der Vergangenheit deutlich zurückgegangen ist und im Zuge eines inklusiven wirtschaftlichen Wachstums und greifender Sozialprogramme in Zukunft hoffentlich weiter sinkt. Vor allem im Kontext der Kontrollmechanismen der Kooperativen und Fairtrade-Standards sind wir froh, mit gutem Gewissen sagen zu können, dass Kinderarbeit in unserer Kaffee-Wertschöpfungskette keine Rolle spielt.
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